geschrieben von Mischa in Cape May, NJ, USA · 23.07.2017 · Kommentar schreiben ·

Obwohl meine Eltern Maria und Wolfgang mitten in der Nacht und mit ein paar Stunden Verspätung bei uns auf der SAILOR MOON in Southport ankommen, legen wir schon am nächsten Tag ab und motoren die paar Meilen in die Lagune von Carolina Beach. Der Ort selbst ist eine nicht wahnsinnig attraktive Feriensiedlung mit den üblichen Seafood-Restaurants und Charterbooten, der kilometerlange Sandstrand ist jedoch wirklich sehenswert. Wir bleiben allerdings nur eine Nacht, denn bis New York ist es noch weit. Fast jeden Tag sind wir nun mit der SAILOR MOON unterwegs, ankern vor Weltstädten wie Belhaven, Beaufort oder im viel zu flachen Hafenbecken von Oriental, der selbsternannten Segel-Hauptstadt North Carolinas. Willi wurde von uns perfekt auf den Besuch seiner Großeltern vorbereitet (schon Tage vor deren Ankunft antwortet er auf alle Fragen mit “Oma!”, z.B. wenn Jaqueline fragt, wer schon wieder die Wasserflasche ins Bett geleert hat), daher ist es kein Wunder, dass Oma, Opa und Enkel gleich wieder super miteinander auskommen. Maria und Wolfgang sind nicht zuletzt deshalb eine große Hilfe, Eignerin und Skipper können sich ein wenig zurücklehnen. Neben dem Willi-Beaufsichigen offenbart Maria ihr bislang verborgenes Talent im Stundenlang-durch-schnurgerade-Kanäle-Steuern, Wolfgang lässt sich auch von Gewitterschauern mit Starkregen und 5 Meter Sicht nicht aus der Ruhe bringen, solange ich nicht vor dem Kompass herumstehe. Oft starten wir schon um fünf Uhr los und können dank der zusätzlichen vier Hände gemütlich unterwegs ein Frühstück herrichten, auf die eine oder andere Dusche in einer der vielen Marinas entlang des Intracoastal Waterways werden wir ebenfalls eingeladen. Eine abwechslungsreiche Landschaft, Städte mit bedeutenden Sehenswürdigkeiten oder spannende Kulturangebote können wir unserem Besuch im Gegenzug leider nicht wirklich bieten, dafür aber einen sehr gründlichen Einblick in die ländlichen Küstenorte North Carolinas und die sumpfigen Waldgebiete dazwischen.

eine Tasse Instantkaffee aus dem Bremer Teepott, und schon steuert Maria wie aufgezogen

Carolina Beach

Willi-Unterhaltung mit Tupperware-Dosen

Maria darf auch mal Pause machen

Regenschauer unterwegs

Das Feuerwerk zum amerikanischen Unabhängigkeitstag am 4. Juli bewundern wir in Swansboro. Es herrscht augenscheinlich Ausnahmezustand, die Marina ist aus Feuerschutzgründen gesperrt, auch der Ankerplatz ist stark verkleinert, die nette Feuerwehr von Swansboro weist uns aber nach gründlicher Prüfung der Windrichtung einen Platz zu, auf dem wir bleiben dürfen. Schon den ganzen Tag über strömen Besucher mit Klappsesseln und Getränkekühlboxen Richtung Hafen, die besten Plätze sind bis zu Beginn des Feuerwerks um neun Uhr abends längst weg. Dann knallt und raucht es, sehr zu Willis Missfallen, 15 Minuten lang, und die meisten Leute machen sich wieder auf den Heimweg. Für Außenstehende wie uns sind die vielen patriotischen Feiertage und der USA und die Traditionen rundherum eben nicht immer ganz einfach zu verstehen.
In Beaufort gönnen wir uns dann einen Tag Pause. Beaufort ist eine der ältesten Städte in North Carolina und sehr schön hergerichtet, es gibt nette Cafes und Restaurants. Trotzdem, irgendwann kennen wir die viktorianischen Holzhäuser in den Queen-, Main- oder Front Streets und finden dank ihrer konsequenten Standortpolitik sofort den nächsten Supermarkt der Piggly-Wiggly-(sic!)-Kette (eine Meile die größte Zufahrtsstraße aus dem Ort hinaus…). Auch ein typisch amerikanisches Frühstück inklusive Shrimps and Grits (eine Art Grießbrei mit Meeresfrüchten; schaut so aus wie es klingt und schmeckt auch so) ruft bei uns und unseren Gästen keine Begeisterungsstürme hervor. So holen wir schon am übernächsten Tag früh am Morgen den Anker wieder auf und motoren weiter, an manchen Tagen können wir sogar ein bisschen segeln. Unzählige Creeks, Klapp-, Dreh-, Zug- und Hebebrücken und einige Gewitterschauer später kommen wir an unserem Etappenziel an, die SAILOR MOON ankert in der Chesapeake Bay in Virginia! Entlang dieser riesigen Wasserfläche im Mündungsbereich mehrerer Flüsse hat sich ein dicht besiedeltes Gebiet entwickelt, die sogenannte Hampton Roads. Dazu zählen neben anderen die Städte Norfolk und Portsmouth, die vor allem als Stützpunkt der US-Atlantikflotte bekannt sind; auch die NATO-Flotte ist hier stationiert. Außerdem unterhält die US-Armee hier riesige Werften, in denen selbst die größten Flugzeugträger gebaut und repariert werden können. Norfolk versucht zwar, durch große Investitionen vom Image der rauen Matrosenstadt wegzukomen – unter anderem gibt es einen komplett neuen Marina/Museums/Restaurant-Komplex direkt am Wasser oder eine toll ausgestattete öffentliche Bibliothek – die Präsenz und der Einfluss des Militärs ist jedoch überall spürbar.

Anker auf kurz nach Sonnenaufgang

Wir segeln!

Gewitterwolken über Beaufort

Captain Willi und seine erste Offizierin

Drehbrücke

Klappbrücke

Hebebrücke

nach einem Gewitter

amerikanisches Frühstück

Norfolk!

Für unseren Besuch ist der Urlaub hier zu Ende, mangels Transportalternativen mieten wir einen riesigen Pickup und ich bringe die beiden zum Flughafen nach Wilmington, North Carolina. Die fünfstündige Rückfahrt nutze ich für einen ausgiebigen Streifzug durch die amerikanische Radiolandschaft, und werde prompt enttäuscht. Neben dem ewigen Einheitsbrei aus Softrock und Country finde ich unzählige religöse Radiosender, die im Minutentakt ihre Hörer zu Spenden aufrufen und ihre Betreiber dadurch zu Millionären machen. Außerdem gibt es viele sogenannte Talk Radio-Formate, wo ein Moderator stundenlang seine Sicht auf die Welt erklärt. Auch hier sind die Themen immer dieselben, aber das (fehlende) Niveau überrascht mich. Politische Gegner werden mit den übelsten Schimpfworten bedacht, andere Journalisten in weinerlichem Ton nachgeäfft oder Stories schlicht und einfach erfunden (zum Beispiel über Vorkommnisse im “sozialistischen” Europa, was auch immer das bedeuten mag) – man ist ja eine Unterhaltungs- und keine Nachrichtensendung. Ich hoffe, den Hörern ist das auch allen bewusst. Nach drei Stunden Rush Limbaugh, einem der bekanntesten und einflussreichsten Talk Radio-Hosts, schwirrt mir jedenfalls der Kopf vor lauter Unsinn, und ich drehe ab. Zum Glück bin ich kurz darauf wieder auf der SAILOR MOON.
Netterweise dürfen wir das Mietauto noch einen weiteren Tag nutzen, und da wir schon bald weitersegeln wollen, bedeutet das: Großeinkauf! Lidl ist gerade dabei, seine Präsenz in den USA stark auszubauen, und beim zweiten Versuch finden wir eine bereits geöffnete Filiale. Tatsächlich bekommen wir german Sauerteig-Brot und Kaiser rolls, zum ersten Mal seit über einem Jahr! Jaqueline ist begeistert, WalMart angesichts der neuen Konkurrenz wahrscheinlich weniger. Wir verladen unseren Einkauf, bringen das Auto zurück und verholen die SAILOR MOON in das Hafenbecken von Hampton. Zufällig treffen wir dort alte Bekannte, Michael und Sheila mit ihrer KANTALA! Die beiden Kanadier hatten wir 2015 in Brasilien kennengelernt und dann aus den Augen verloren. Viel Zeit zum Tratschen bleibt allerdings nicht, schon am nächsten Tag startet die KANTALA über den Atlantik Richtung England, die SAILOR MOON nimmt – ein wenig bescheidener – Kurs auf Cape May.

zwei Nerds

Krabbenkutter

Chillen mit überkreuzten Beinen

selbst beim Biertrinken beachten wir die lokalen Gesetze

der Steuermann hat alles im Griff

Wolfgangs neuer Hut…

…passt auch Willi!

die gesamte Crew im Dinghy

Redneck-Frühstück im Pickup


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