geschrieben von Mischa in Key West, FL, USA · 31.05.2017 · 2 Kommentare ·

Es ist schon Ende Mai, aber die SAILOR MOON hängt immer noch in den Florida Keys herum? Wollten die nicht nach New York? Ja, wollen wir immer noch, aber uns gefällt es hier! Key West liegt buchstäblich am Ende der USA, und so kommt es, dass Aussteiger und Abenteurer aus allen Teilen Amerikas hier im wahrsten Sinne des Wortes mit ihren Booten gestrandet sind. Fast alle erzählen uns, dass sie nur noch diese oder jene Kleinigkeit am Boot zu erledigen haben, dann soll die große Reise endlich losgehen. Angesichts des Zustandes der meisten Boote (und auch ihrer Besatzung) wird aber wohl den wenigsten jemals der Absprung gelingen. Es verwundert daher nicht, dass die Liveaboard-Community von Key West nicht den allerbesten Ruf genießt. Oft ist Alkohol im Spiel, manchmal auch andere Drogen. Meinungsverschiedenheiten zwischen Bootsleuten werden schon mal mit den Fäusten ausgetragen oder führen zu durchgeschnittenen Ankerleinen. Trotzdem ist die Nachfrage nach Arbeitskräften so groß, dass es jedem gelingt, sich irgendwie mit Tagesjobs durchzuschlagen. Wer halbwegs nüchtern und pünktlich zur Arbeit erscheint (manchmal genügt auch eines von davon), wird angestellt. Das ist kein Scherz, ein lokaler Bauunternehmer verlangt von seinen Bewerbern als „Einstellungstest“, dass sie ihn ein paar Tage lang regelmäßig um sieben Uhr früh anrufen, bevor sie für ihn arbeiten dürfen – eine Hürde, an der offenbar viele scheitern.

Straße in Key West

Haus in der City

alte Schoner

die Hauptstraße

typisch amerikanische Dekoration am Memorial Day

am Hafen

Willis Lieblingsvorhang

Jaqueline darf ab und zu Igor in seinem kleinen Souveniershop in der Nähe des südlichsten Punktes der USA, einer etwas fragwürdigen „Sehenswürdigkeit“ aushelfen. Igor stammt aus Weißrussland und ist ein alter Fuchs was Verkaufsstrategien angeht, und Jaqueline lernt von ihm alles Mögliche über bedruckte Stamperlgläser, Kühlschrankmagnete oder was man sich eigentlich so unter dem Begriff „Resortwear“ vorzustellen hat. Für uns ist das natürlich eine gewisse Umstellung, war Willi doch seit seiner Geburt bisher nie länger als drei Stunden von seiner Mutter getrennt und trinkt immer noch regelmäßig an der Brust. Entgegen unseren Befürchtungen läuft aber alles problemlos, Willi und ich haben zu zweit viel Spaß, und solange ich „Mama“ nicht erwähne, hat er auch keine Sehnsucht nach der Brust. Wir unternehmen lange Spaziergänge durch die Stadt oder fahren mit dem Bus nach Marathon in die mittleren Keys. Willi ist immer gut gelaunt, an allem interessiert und beschwert sich so gut wie nie. Abends weicht der dann natürlich nicht mehr von Jaquelines Seite, das Einschlafen in der Achterkabine haben wir bis auf weiteres wieder abgeschafft. Auch für Jaqueline und mich ist es ungewohnt, nicht mehr jeden Tag 24 Stunden zusammen zu sein und nicht alles gemeinsam zu erleben. Ich bin eigentlich nicht als Freund vieler Worte bekannt, nun aber rede ich aber offenbar manchmal wie ein Wasserfall, um meine Frau über die weltbewegenden Ereignisse eines Willi-Tages auf den neuesten Stand zu bringen. Maximal zwei Wochen wollen wir noch hierbleiben, dann werden endlich wieder Segel gesetzt, wir haben nämlich wieder einen Termin: Meine Eltern kommen Anfang Juli zu Besuch und haben einen Flug nach North Carolina gebucht. Die Distanz sollte jedoch locker zu schaffen sein, der Golfstrom wird’s schon richten!

Jaqueline im Shop

Willis und meine Hauptbeschäftigung: Loitering!

an Blumen riecht Willi gerne

Spaziergang mit Willi

das Verhältnis von Preis und Leistung stimmt nicht immer

Nudel-Snack an Bord

Chillen im Kinderwagen

Wie lautet denn nun das erste Fazit über Key West, Florida, Amerika und seine Bewohner von uns als USA-Neulingen? Wir fühlen uns hier wahnsinnig wohl! Die meisten Leute, denen wir begegnen, sind unglaublich herzlich und offen, man fühlt sich hier als Gast willkommen wie in keinem anderen „erste-Welt-Land“ unserer Reise bisher. An manche Dinge muss man sich als Europäer erst gewöhnen, wie zum Beispiel wenn an der Supermarktkasse eine wildfremde junge Mutter erzählt, wie sehr sie ihre Tochter vermisst, die den Urlaub daheim verbringt, oder wenn mich Bootsbesitzer David ohne Umschweife den ganzen Tag alleine und gegen gute Bezahlung auf seinem ankernden Boot arbeiten lässt und erst abends wiederkommt. Natürlich treffen wir auch auf übergewichtige, ignorante, latent rassistische, waffenverrückte America-is-the-greatest-country-on-earth-Klischee-Amerikaner. Die gibt es, und das wahrscheinlich nicht zu knapp. Vielleicht haben wir aber einfach viel Glück, denn die meisten Leute, die wir kennenlernen, sind fast durchwegs freundliche und hilfsbereite Menschen, die wissen, wo Österreich liegt und oft aus der Schule noch ein bisschen Deutsch sprechen. Manchmal sind wir sogar fast ein bisschen neidisch auf die Größe und geographische Vielfalt der USA. Viele Leute, die wir hier in Florida treffen, kommen aus anderen Landesteilen, ihre Familien leben über das ganze Land verstreut, und sie arbeiten mal hier, mal da, leben dann wieder ein halbes Jahr von ihrem Ersparten auf einem Boot und verdienen dann wieder gutes Geld in einem Skiresort im Norden. Wir freuen uns auf jeden Fall schon auf die nächsten Monate, in denen wir die Ostküste ein bisschen besser kennenlernen wollen!

Postkarten-Sonnenuntergang

der (angeblich) südlichste Punkt der kontinentalen USA…

…und die Leute, die auf eine Fotomöglichkeit warten

“Seafood Pioneer”? “Ich werde dieses Ding jetzt roh essen, auch wenns ekelhaft ausschaut”?


2 Comments

  1. visionary, the word you’re looking for is ‘visionary’!

    • “Es wird eine Zeit kommen, da werden alle dieses widerlich aussehende Viech essen”? So in etwa?

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